Wissenschaftsbloggen im 17. Jahrhundert?
11.03.08 (Astronomie, Geschichte, Wissenschaft)
Zur Zeit wird (fast) überall darüber diskutiert, was gute Wissenschaftsblogs ausmacht. Bloggende Wissenschaftler sind wohl ein relativ neues Phänomen. Und meistens sind es die „jungen“, die die Blogs betreiben. Aber ist diese Art, über Wissen und wissenschaftliche Entdeckungen zu schreiben wirklich so neu? Sind wir, wie Monika es schreibt wirklich „alle Pioniere, wenn es um das Wissenschaftsblogging geht“?
Dass ich gerne in alten astronomischen Zeitschriften stöbere ist ja bekannt. Heute habe ich ein bisschen in den „Philosophical Transactions of the Royal Society“ geblättert. Diese wissenschaftliche Zeitschrift wurde 1665 von der Royal Society in London gegründet. Die Royal Society und ihre „naturphilosophischen“ Forschungen stehen eigentlich ganz am Beginn dessen, was wir heute als moderen Naturwissenschaft kennen. Große Physiker wie Newton, Hooke, Boyle, Wren, Huygens, Leibniz und viele mehr gehörten zu ihren frühen Mitgliedern. Sie alle haben ihre Erkenntnisse und Forschungen in den Philosophical Transactions veröffentlicht.
Ich hab mir nun einige Artikel dort angesehen – und das ganze hat mich nicht so sehr an eine wissenschaftliche Zeitschrift, wie wir sie heute kennen erinnert sondern viel mehr an das, was die modernen Wissenschaftsblogger tun. Damals lief die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Ergebnisse ganz anders ab als heute. Peer-Review – also die unabhängige Überprüfung der Ergebnisse von Fachleuten vor der Veröffentlichung – fand in dieser Form nicht wirklich statt. Die „Artikel“ von damals sind auch im Allgemeinen längst nicht so detailliert ausgearbeitet wie heute. Es waren meistens nur kurze Mitteilungen; nicht zu vergleichen mit den langen Papers von heute, die mit einer Einführung zum Thema beginnen, die verwendeten Methoden genau vorstellen, die eigene Arbeit detailliert erklären und analysieren und dann vielleicht noch auf zukünftige Arbeiten zu sprechen kommen. Die alten Artikel sind oft in anekdotischer Form geschrieben und sehr viel persönlicher als die eher nüchternen modernen Papers. Viele der alten Beiträge sind Briefe, die von Wissenschaftlern im Ausland geschickt und abgedruckt wurden; viele Beiträge und Briefe werden mit Folgebeiträgen und Antwortbriefen kommentiert.
Das Ganze hat auf mich manchmal tatsächlich wie eine Papierversion eines Wissenschaftblogs gewirkt: ein Wissenschaftler hat etwas herausgefunden, einen interessanten Gedanken gehabt, eine interessante Arbeit eines anderen Wissenschaftlers gelesen und möchte das der „Community“ bzw. sonstigen Interessierten mitteilen – er schreibt also einen kurzen Bericht, schickt ihn an die Royal Society bzw. eine andere Vereinigung. Die sorgt dann dafür, das der Bericht veröffentlicht und die anderen Wissenschaftler informiert werden. Die reagieren dann mit eigenen Briefen und Beiträgen darauf – eine Diskussion entwickelt sich.
Das ist doch mehr oder weniger der gleiche Mechanismus, der heute in Blogs und Internetforen stattfindet! Im Gegensatz dazu steht die „moderne“ Art der Wissensveröffentlichung. Da reicht es nicht, einfach nur einen interessanten Gedanken zu haben oder eine interessante Beobachtung zu machen. Die sind nur der Ausgangspunkt für ausführliche Forschungsarbeiten. In einem durchschnittlichen (astronomischen) Fachartikel stecken meist mehrere Monate Arbeit und Ergebnisse werden meist nur veröffentlicht, wenn man sich ziemlich sicher ist, das sie korrekt und vor allem auch relevant sind. Früher war man bei der Veröffentlichung ein bisschen „lockerer“: man sah oder erfuhr etwas Außergewöhnliches (ein seltener Stein, ein zweiköpfiges Kalb, ein neues Buch, eine unbekannte Pflanze, ein neues chemisches Experiment, eine astronomische Beobachtung, ein Fischregen, eine Autopsie eines Gehängten, …) und verfasste einfach einen kurzen Brief (einen Blogeintrag 😉 ) an die Royal Society.
Ein alter Artikel von Edmond Halley aus dem Jahr 1698 illustriert das sehr schön. In Band 20 der Philosophical Transactions (Seite 193-196) findet man folgenden Artikel: „An Account of the Appearance of an Extraordinary Iris Seen at Chester, in August Last, by E. Halley“. Er beginnt folgendermaßen:
„On the Sixth Day of August last, in the Evening, between Six and Seven of the Clock, I went to take the Air upon the Walls of Chester, when I was surprized by a sudden Shower, which forced me to take Shelter in a Nich that afforded me a Seat in the Wall, near the North East Corner thereof. As I sat there, I observed an Iris, exceedingly vivid, as to its Colours , at first on the South Side only, but in a little Time with an entire Arch; and soon after, the Beams of the Sun being very strong, there appeared a secondary Iris, whole Colours were more than ordinary Bright; but inverted, as usually: that is, the Red outward, an è contra for the Blues.“
Dieser anekdotische, persönliche Stil zieht sich durch den ganzen Artikel. Halley beschreibt weiter, wie er noch ein dritten Regenbogen (Iris) beobachtet und leitet dann über zu einer anderen Beobachtung eines Regenbogens1. Auf Seite 195 schreibt Halley:
„On this Occasion, I can’t forebear relating another Appearance I saw in London streets on the 11th of March, in the Year 1696. It rained pretty thick a small rain, and the Sun, about Two of the Clock, shone directly down Abchurch-Lane, as I was passing along it with my Back to him, when I perceived the Arch of the primary Rain-Bow in the Drops of Rain spanning the Street like an Arch of a Building, under which I was to pass; (…)“
Und Halley beendet den Artikel mit:
„This, tho very uncommon, will not appear strange to those that have well considered the Nature of the Iris; but the Ancients who believed Iris the Messenger of the Gods, would have been apt to have thought she had some peculiar Message, when she placed her self so near me, as to be almost within reach: I understood her to invite me to inquire further into the Nature of her Production and accordingly, taking her under my Consideration, I had all the Success I could wish for, which perhaps may not be unacceptable to the Curious, if I publish one of the next Transactions.“
Man stelle sich so einen blumigen Text als „Conclusions“ eines heutigen Papers vor 😉 !
Im Inhaltsverzeichnis von Band 20 der Philosophical Transactions findet man noch jede Menge weitere „interessante“ Titel:
- „A Letter Wherein is Given an Account of the Catalogues of Manuscripts Lately Printed at Oxford“ [link]
- „Part of a Letter from Dr. Musgrave, Fellow of the College of Physicians and R. S. to Dr. Sloane; Concerning a Piece of Antiquity Lately Found in Somersetshire“ [link]
- „Captain Langford’s Observations of His Own Experience upon Huricanes, and Their Prognosticks. Communicated by Mr. Bonavert“ [link]
- „Relation of the Symptoms That Attended the Death of Mr. Robert Burdett, an English Merchant of Aleppo, Who Was Kill’d by the Bite of a Serpent. Communicated by Mr. Aaron Goodyear, Who Was Then Present“ [link]
- „An Objection to the New Hypothesis of the Generation of Animals from Animalcula in Semine Masculino. By Dr. Martin Lister, Fellow of the Colledge of Physicians and Royal Society“ [link]
- „A Letter from Dr. Rob. Conny, to the Late Dr. Rob. Plot, F. R. S. Concerning a Shower of Fishes“ [link]
- „Some Observations Sent from the East-Indies; Being in Answer to Some Queries Sent Thither by Richard Waller, Esq; F. R. S.“ [link]
- „An Account of One Edmund Melloon, Born at Port Leicester, in Ireland, Who Was of an Extraordinary Size. Communicated by Dr. William Musgrave, Fellow of the College of Physicians, and R. S.“ [link]
- „Account of a Monstrous Calf with Two Heads. Communicated by the Right Honourable, Sir Robert Southwell, V. P. R. S.“ [link]
Das war natürlich nur eine mehr oder weniger willkürliche Auswahl – in den Transactions gibt es noch viel mehr nette Artikel zu entdecken (wer selber suchen will, dem kann ich die Benutzung von ADS empfehlen)
Ich bin leider kein Wissenschaftshistoriker – aber die Entwicklung von diesen frühen wissenschaftlichen Veröffentlichung hin zu dem modernen System mit peer-review und impact factor würde mich sehr interessieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass das schon jemand untersucht hat…
Die Parallelen zwischen der Publikationskultur zu Beginn der wissenschaftlichen Ära und den Wissenschaftsblogs des Web 2.0 finde ich aber auf jeden Fall sehr interessant. Was genau sich da alles hinein interpretieren lässt, muss ich mir erst noch überlegen 😉 Aber es hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht, in den alten „Blogeinträgen“ zu stöbern…
Fußnoten:1: Doppelte Regenbogen, wie im Zitat beschrieben, kann man recht häufig sehen. Halley hat allerdings einen dreifachen Regenbogen beobachtet – so etwas kommt sehr selten vor.
12.03.08 um 10:53
sehr interessant…. muss mir dir Links mal durchlesen… die Idee eines „Zeitungsbasierten“ Diskussionsforums finde ich genial 🙂
12.03.08 um 11:59
Im Gegensatz zu den heutigen Publikationen, finde ich diesen Austausch – den sozusagen ersten Blogg – schon interessant!
Oft ergibt sich aus so einem Wissensaustausch ein besseres Projekt, eine umfassendere Arbeit als man sie alleine geschafft hätte 😉
12.03.08 um 18:39
@andylee: naja, „zeitungsbasierte diskussionsforen“ gibts ja heut auch noch – das ist die leserbriefseite 😉
was ich ansprechen wollte, war die ähnlichkeit zwischen der der form der wissenschaftlichen veröffentlichungen damals (kurze beiträge/miteilungen über „interessante“ dinge) und den blogs heute und den gegensatz zu den heutigen wissenschaftlichen veröffentlichungen.
damals ist aus dieser art der kommunikation über wissenschaft tatsächlich was neues und wichtiges entstanden; diese zeit war die geburtsstunde der wissenschaft. ich frage mich daher, was heute aus der wissenschaftlichen blogszene entstehen kann…
13.03.08 um 11:18
Hi Florian, da hat sich mein Besuch ja gleich richtig gelohnt. Das ist ja echt spannend, was Du hier beobachtet und zusammen getragen hast.
Und gerade Dein Hinweis: Diese, ja fast schon „sterile“ Nüchternheit der Wissenschaft, dann immer der verbissene Blick auf echte Outcomes, die trockene Sachlichkeit und eigentlich ein Stück weit die fehlende Wissenschaftskommunikation….all das störte mich schon immer unterschwellig.So genieße ich die „Freiheit“, welche man als Wissblogger hat 😉 LG Monika
21.03.08 um 23:02
Hmm – leider ist die sterile Nüchternheit wohl notwendig, damit die Wissenschaft weiterhin wissenschaftlich bleibt…
Aber umso froher bin ich, neben den normalen Publikationen nun auch dieses Blog zu haben, wo ich nicht ganz so nüchtern schreiben muss 😉